LG Berlin spricht sich gegen Daten-Verwendung von EncroChat-Hack aus

Können die EncroChat-Daten in Deutschland vor Gericht verwertet werden?

Zunächst muss man wissen, dass es sich bei der Sicherstellung der EncroChat-Daten um eine Maßnahme einer französischen Behörde handelt. Da die französischen Behörden aber nicht nur Daten von einem Server in Frankreich gesichert haben, sondern auch direkt auf den jeweiligen EncroPhones Daten abgefangen haben, fanden strafprozessuale Maßnahmen von französischen Behörden auf deutschem Staatsgebiet statt. Dies ist ein zentraler Punkt für die Frage der Verwertbarkeit, da es ein solches geplantes Vorgehen in diesem Ausmaß bisher nicht gegeben hat.

Nach unserer Ansicht handelt es sich hierbei um einen nicht gerechtfertigten Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, das auch das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme umfasst (BVerfG 1 BvR 370/07).

So hat das Bundesverfassungsgericht schon in seiner Entscheidung vom 27.02.2008 zu präventiven Maßnahmen des Verfassungsschutzes festgestellt, dass die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, verfassungsrechtlich nur zulässig ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Bis heute gibt es in Deutschland keine gesetzliche Grundlage für das anlasslose Überwachen und Speichern von Kommunikations- und Verbindungsdaten durch die Behörden.

Für die Strafverfolgung hat der deutsche Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die Quellen-TKÜ (§ 100a StPO) und die Online-Durchsuchung (§ 100b StPO), wovon die französischen Behörden hier Gebrauch gemacht haben, an das Vorliegen eines konkreten Tatverdachts bezüglich einer erheblichen Straftat (sog. Katalogstraftat) sowie des Richter- bzw. Kammervorbehalts geknüpft.

Die französischen Behörden können zum Zeitpunkt des Zugriffs auf die EncroPhones lediglich vermutet haben, dass über die verschlüsselte Kommunikation Straftaten abgewickelt würden. Sie hatten keine tatsächlichen Anhaltspunkte, ob und welche Straftaten des jeweiligen Nutzers im Raum standen.

Auf Deutschland gemünzt bedeutet das, dass die oben beschriebenen gesetzlichen Voraussetzungen für solche Maßnahmen auf deutschem Boden zum Zeitpunkt der Maßnahmen nicht vorgelegen haben oder möglicherweise bewusst umgangen worden sind.

Auch gab es nach jetzigem Kenntnisstand keine deutschen Gerichtsbeschlüsse, die diese Maßnahmen in Deutschland nach § 100a und § 100b StPO legitimiert hätten. Was es hingegen gab, sind konkrete Hinweise darauf, dass deutsche Justizbehörden bereits vor Beginn der Maßnahmen durch die französischen Behörden auf deutschem Boden Kenntnis davon hatten und entsprechende Ermittlungsverfahren zentral geführt haben. Dies wiederum spricht für die Annahme einer bewussten Umgehung der hohen inländischen strafprozessualen Hürden für derartige Ermittlungsmaßnahmen.

Aus unserer Sicht muss genau aus diesem Grund ein Beweisverwertungsverbot für die durch die französischen Behörden in Deutschland erhobenen EncroChat-Daten angenommen werden. Alles andere ist eine bewusste Umgehung der Grundrechte von Beschuldigten. Die Zusammenarbeit der europäischen Strafverfolgungsbehörden darf nicht dazu führen, dass aufgrund der unterschiedlich hohen Hürden für strafprozessuale Maßnahmen in den jeweiligen Europäischen Mitgliedstaaten bewusst das Land mit den niedrigsten Anforderungen beispielsweise bezüglich Tatverdachts mit der Durchführung dieser Maßnahmen betraut wird und damit die Grundrechte von unzähligen Unionsbürgern verletzt werden. Ein solches „Befugnis-Shopping“ stellt eine willkürliche Verletzung von Beschuldigtenrechten dar. (Quelle: lexhades Rechtsanwälte, Duisburg)

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