Was findest Du daran „großartig“ und wo ist die Idee?
Persönlich verstehe ich die grundsätzliche Forderung einer 4-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich nicht. Das wird stets so verkauft, als kämpfe man ständig damit, die doofe Arbeit zu minimieren und die menschenwürdige Freizeit zu maximieren. Mir gibt meine Arbeit etwas, das ich für essenziell halte: Purpose. Verringere ich die Arbeit, verringere ich die Sinnhaftigkeit meines Tuns. Und wenn ich in der Freizeit etwas tue, das für mich mehr Sinn ergibt, als meine derzeitige Arbeit, dann sollte ich dies zur Arbeit machen. Aber halt, dann muss ich diese ja in der Konsequenz auch wieder minimieren. Ein Teufelskreis.
Zudem sind wir ja jetzt schon in einer Situation, in der wir zwar extrem hohe Lohn- und Lohnnebenkosten haben, unsere Produkte aber nicht so dergestalt besser im internationalen Vergleich sind, als dass andere und sogar wir selbst bereit wären, den Mehrpreis zu zahlen.
Was mir bei Bernie Sanders ganz klar fehlt ist eine Idee, wie Erwerbsarbeit mit KI grundsätzlich gestaltet werden soll. Sanders verhält sich hier wie ein typischer Gewerkschaftler. Er stellt die Forderung und die Umsetzung muss dann „in den Organisationen“ erdacht und umgesetzt werden. Das ist nicht konstruktiv, sondern populistisch - und birgt eine große Gefahr.
Denn das, was wir aktuell mit KI erleben, ist als Phänomen von Gesellschaft und Wirtschaft gar nicht so neu. In den Sozialwissenschaften oder den Wirtschaftswissenschaften nennt man das seit über 100 Jahren „Mechanisierung und Automatisierung“. Das hatten wir in Phasen wie der der Einführung von Manufakturen, der Dampfmaschine, der Einführung des Fließbands oder der vernetzten IT. Und stets war doch die Frage: wenn eine neue Technologie bestimmte Arbeitsschritte überflüssig macht oder diese selbst erledigt, was kann der Mensch als höherwertigere Arbeit dann tun, um weiterhin einen Mehrwert zu erzeugen? Und stets führte dies zu massenhaften Entlassungen, weil man die wenigsten Mitarbeitenden auf diese neuen Aufgaben umschulen konnte. Aber es entstand immer recht schnell eine Generation von Arbeitnehmenden, die dafür entsprechend ausgebildet waren. Das machte einen Teil der Arbeitnehmenden zu Verlierern des Fortschritts, ermöglichte anderen hingegen einen höheren Wohlstand durch die höherwertigeren Tätigkeiten.
Gefährlich ist nun, dass Sanders die Argumentation der Führungsriege der Unternehmen aufnimmt, bei der keine Arbeiten ersetzt, sondern diese lediglich durch KI „effizienter“ werden. Dabei wird nicht mit Fantasiezahlen gespart, wie hoch dieser Effizienzgewinn sein soll. Alleine, wie diese Zahlen verlässlich berechnet werden, konnte mir noch niemand beantworten. Wie oben ausgeführt denke ich aber eher, dass es eine Zäsur geben wird. Eine Zäsur, in der wir bestimmte Jobs gar nicht mehr benötigen - weder 5 noch 4 Tage die Woche.
Deshalb sehe ich die Herausforderungen ganz woanders. Die Fragen sind, wie wir im internationalen Wettbewerb KI so einsetzen können, dass wir besser und unsere Produkte entsprechend gefragt sind, sowie letztlich auch gekauft werden. Und wie wir durch den Einsatz von Technologien aus den USA oder China nicht schon wieder in die nächste Falle der internationalen Abhängigkeit stolpern. Das sichert Einkommen und damit Wohlstand und nicht eine populistische Forderung nach weniger Arbeitszeit und einer Umverteilung von Wohlstand.